Auf der Suche nach dem Vogel der Zeit

++ von Jens Martin Neumann ++

Zwischen den Malereien Corinna Altenhofs und den Fotografien Hayo Heyes ergeben sich, so belegen es gerade die gemeinsamen Arbeiten, jenseits aller Gattungsgrenzen überraschende Korrespondenzen. Weit über formale Analogien der strukturierten Oberflächen und verwandte Konzepte einer Spurensuche hinaus, verbindet sie ein grosses gemeinsames Thema, behandelt vor den Kulissen phantastischer, von der Wirklichkeit abgelöster Bilderwelten: Zeit und Erinnerung.

Duftig nuancenreiche Farbteppiche und luftig zarte Farbfelder, gequert von einzelnen krustigen Farbbalken und gefleckt mit vibrierend fransigen Farbinseln, ohne formale Hierarchie im Bildaufbau, nur vorsichtig durch geritzte Linien grafisch organisiert, schmerzlich schöne, weite leere Oberflächen, zur Form gebunden in Kreide, Wachs und Farbpigmenten, gleichsam imprägniert, versiegelt und konserviert -, es ist eine verstörend selbstgewisse, ungemein zurückhaltende, doch lebendige Formensprache, die Corinna Altenhofs Bilder auszeichnet und uns vorführt, wie unerhört es eigentlich ist, Bilder zu malen.

Seit Jahren sinnt Corinna Altenhof in ihren Bildern über das Medium der Malerei nach. Einerseits beschreibt sie den konkreten Vorgang des Malens als solchen, andererseits übersetzt sie ihre unmittelbar gewonnenen Eindrücke in landschaftlich anmutende malerische Klärungen, die ohne abbzubilden Naturhaftes erfahrbar machen. Informell gestische Formationen überlagern kleine gegenständliche Verweise, die bestimmte Landschaftserfahrungen bewahren. Der Intimität individueller Erlebnisse stellt sie gezielt die ausdauernde Körperlichkeit des Malakts entgegen. In dieser subjektiven, assoziativ offenen Skizzenhaftigkeit der Werke deutet Corinna Altenhof stets mehr an, als sie tatsächlich ausformuliert; wichtiger ist ihr die Begründung einer spezifisch bildnerischen Position. Natur in ihrer Gesamtheit ist Synonym künstlerischen Handelns, nicht aber dessen werktragendes Ziel.

Was Corinna Altenhofs Kunst primär bestimmt, ist der auratische Gesamteindruck, der aus der behutsamen malerischen Handlung, also dem schichtweise Bedecken des Malgrunds mit Wachs und Farbe und deren Verdichtung zu fragilen farbigen Flächen resultiert. Teilweise eingefärbtes Bienenwachs und gelöste Farbpigmente werden über einer Kreidegrundierung in mehreren Schichten aufgetragen, zu transparenten Farbflecken vernetzt und in züngelnden Ritzungen jäh durchschluchtet. Es entstehen zerrissene, optisch pulsierende, in wechselnden Farbtönen scheckig aus der Tiefe schwellende Farbtexturen, die sowohl den Materialcharakter betonen als auch den maltechnischen Prozess in sichtbaren Spuren überliefern. Jede Farbfläche zeigt gleich erkalteter Farbmagma eine weiche, geschmolzene, erhärtete, polierte Substanz von grösster sinnlich-haptischer Prägnanz.

Malen bedeutet für Corinna Altenhof das Einsammeln von künstlerischen Erfahrungsschichten, die sich als Ablagerungen eines biografischen und prosaischen Erinnerns in die Farbhaut einschmelzen. Sie bewegt sich in ihren Bildern zwischen der Erfahrung der bekannten Welt und dem eigenen seelischen Empfinden, zeitlos verschlossen in erstarrtem Wachs. Beide erweisen sich als Ausgangspunkt ihrer Malerei. Wenn existente Landschaftsräume überhaupt als Inspirationsquellen dienen, dann nur als Muster der Flächenteilung oder als Skala des Farbeindrucks. Relikte dieser nicht benennbaren, nur noch erahnbaren Abbildlichkeit finden sich in der weiss- und blautonigen Farbpalette sowie in der durchlässigen Farbschichtung, durch die ihre Bilder nicht allein an farblicher Intensität, sondern auch an räumlicher Präsenz gewinnen. Ob in grosser Welttotale ozeanische Inselgruppen oder in mikroskopischer Nahsicht borkige Baumrinden erinnert werden, bleibt angesichts dieser emotionalen Resonanzkörper ganz dem Betrachter überlassen.

Wirklichkeit - Aussenwelt wie Innenleben - wird in der Farbfeldmalerei von Corinna Altenhof auf eine neue, rein mentale Ebene transponiert. Das Bild aber definiert sich ganz aus der farblichen Setzung und dem sinnbildlichen Wachsmaterial heraus, also aus dem damit verbundenen Absolutheitsanspruch der schöpferischen Aktion.

Gekreuzte Ritzungen in grafischem All over, rotierende Linien in impulsivem Stakkato, mäandernde Kerben und amorphe Spalten oder zu Schollen geborstene Oberflächen, scheinbar informelle, gestische Bilder einer dergestalt entfremdeten Topografie, aber auch erkennbare Designerstücke, doch irgendwie schimmlig, modrig überwuchert, Einbruch des Morbiden in die Welt des schönen Scheins -, Hayo Heye wagt mit seinen Arbeiten den Schritt zu einer subjektiven, quasi abbildungslosen, stellenweise auch kameralosen Fotografie. Hier kommen ganz andere Traditionen des Bildes in Sicht.

Hayo Heye erweist sich in seiner ungekünstelten Dingfotografie als unermüdlicher Motivsucher von abstrakten Mustern und surreal anmutenden Erscheinungen, aber auch als äusserst kreativer Lichtzeichner und Experimentator mit Fotogrammen und fotochemischen Alterungsprozessen. Mit obsessiver Beharrlichkeit durchstreift er Hamburg und erstellt mit sicherem Auge für das Kleine, Verborgene, das vermeintlich Unscheinbare, gar Abseitige eine umfangreiche Sammlung von Lebensspuren mit der poetischen Patina des Verlassenen und Vergänglichen. Sein fotografischer Blick zeigt dabei ein auffallendes Interesse an knappem Ausschnitt und stiller Aufsicht, am ausschliesslichen Interesse an reinen Formen, am Reiz der alltäglichen Dinge und an einer bewussten Distanz, die sich aller dramatischen Effekte enthält.

Mit seinen Aufnahmen von Tischplatten aus Hamburger Hochschulen, von Fussböden, Parkdeckbelägen und Schlaglöchern der Hansestadt praktiziert Hayo Heye eine autonome Kunst, die sich weitgehend vom Abbildcharakter des fotografischen Bildes löst. Er lässt mit gleichmässiger Beleuchtung und Tiefenschärfe bis ins Detail die Gegenstände selbst in ihrer Materialität, Substanz und vor allem in den verborgenen, ihnen eigenen Strukturen sprechen. Damit transformiert das konkrete Objekt in der fotografischen Zusammenfassung zur grafischen Farbform, deren Entschlüsselung zuweilen einer akribisch genauen Bildbesichtigung bedarf. Der wesensfremde Kontext eröffnet einen assoziativen Raum für neue Erzählungen.

Hayo Heye experimentiert mit allerlei Materialien und Fototechniken wie dem ohne Kamera erzeugten, darin ungegenständlichen Fotogramm. Seine Heyegrafie entsteht auf einfache Weise von selbst, wenn er Transparenzfolien im öffentlichen Stadtraum auslegt, denen sich wie in eine metallene Radierplatte die Zeichen der Strasse bis hin zu den Schuhabdrücken der Passanten einschreiben. Ihn reizt dieser spontane, ungelenkte Herstellungsprozess, der eine Eigendynamik gewinnt und zur Grundlage neuer visueller Ordnungen wird. Denn die abstrakten Strukturbilder visualisieren die Verwandlung von Spuren menschlicher Existenz in eine spezifische Form abstrakter Druckgrafik. Diese Kunst schrumpft die ästhetische Distanz zum Leben auf ein Minimum ein.

Das Hamburger Atelier ist aber auch eine Art künstlerischer Alchemistenküche. Hayo Heye unterwirft in einer fast naturwissenschaftlichen Versuchsanordnung eigene Grossbilddias aus seiner Zeit als Werbefotograf einer symbolisch verstandenen Metamorphose, indem er sie in verschlossenen Boxen einem organischen Verwesungs- und Fäulnisprozess aussetzt. In Zufall, Zersetzung und Zerstörung entdeckt er das Malerische schimmelnder Kulturen und überlässt das alte realistische Abbild faktisch wie metaphorisch seinem natürlichen Verfall. Erneut sind Zeit und Vergänglichkeit zentrale Werkkategorien, persönliche werkbiografische Erinnerungen kommen hinzu. In Hayo Heyes Fotografien gerät die Wirklichkeit leicht aus dem Gesichtsfeld, dann tritt Erleben unverstellt von gegenständlichen Bezügen vor Augen.





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