Zur Eröffnung der Ausstellung Corinna Altenhof

++ Winterhuder Salon am 9. November 2017 von Thomas Sello ++

Herrlich ist es, in einer unendlichen Einsamkeit am Meeresufer unter trübem Himmel auf eine unbegrenzte Wasserwüste zu schauen. Dazu gehört gleichwohl, dass man dahin gegangen sei, dass man zurück muss, dass man hinüber möchte, dass man es nicht kann, dass man alles zum Leben vermisst und die Stimme des Lebens dennoch im Rauschen der Flut , im Wehen der Luft, im Ziehen der Wolken, in dem einsamen Geschrei der Vögel vernimmt … und so ward ich selbst der Kapuziner, das Bild ward die Düne; das aber, wo hinaus ich mit Sehnsucht blicken sollte, die See, fehle ganz. Nichts kann trauriger und unbehaglicher sein als diese Stellung in der Welt: der einzige Lebensfunke im weiten Reich des Todes, der einsame Mittelpunkt im einsamen Kreis. Das Bild liegt mit seinen zwei oder drei geheimnisvollen Gegenständen wie die Apokalypse da, als ob es Youngs Nachtgedanken hätte und, da es in seiner Einförmigkeit und Uferlosigkeit nichts als den Rahmen zum Vordergrund hat, als wenn einem die Augenlider weggeschnitten wären.

Gleichwohl hat der Maler zweifelsohne eine ganz neue Bahn im Felde seiner Kunst gebrochen, und ich bin überzeugt, dass sich mit seinem Geiste eine Quadratmeile märkischen Sandes darstellen ließe mit einem Berberitzenstrauch, worauf sich eine Krähe einsam plustert, und dass dies Bild eine Ossianische oder Kosengartensche Wirkung haben müsste. Ja, wenn diese Landschaft mit íhrer eigenen Kreide und mit ihrem eigenen Wasser malte, so glaub‘ ich, man könnte die Füchse und Wölfe damit zum Heulen bringe: das Stärkste, was man ohne allen Zweifel zum Lob für diese Art von Landschaftsmalerei beibringen kann. Doch meine eigenen Empfindungen für dies wunderbare Gemälde sind verworren …“

Kaum zu glauben, dass der Verfasser dieses Textes nicht ein Bild von Corinna Altenhof gesehen haben kann, denn er veröffentlichte ihn am 13. Oktober 1810 in den von Heinrich von Kleist herausgegeben „Berliner Abendblättern“. Überschrieben war er: Verschiedene Empfindungen vor einer Seelandschaft von Friedrich, worauf ein Kapuziner

Sein Autor ist der romantische Dichter Clemens Brentano. Es geht in dieser wunderbaren Bildbetrachtung um das Gemälde „Mönch am Meer“ von Caspar David Friedrich(110 x 171 cm), ausgestellt in der Berliner Akademieausstellung im Jahre 1810. Der Preußische Kronprinz war von dem Werk so begeistert, dass sein Vater, Wilhelm III, es für Berlin erwerben ließ zusammen mit der Abtei im Eichenwald – bis heute zwei Höhepunkt der Alten Nationalgalerie, die damals mit der Bezeichnung Zwei Landschaften zu sehen waren. Offensichtlich vermied es Friedrich, genauso wie Corinna Altenhof, durch ausgeklügelte Titel die Phantasie der Betrachter einzuschränken.

Übrigens gibt es zum Text von Brentano eine köstliche Fortsetzung, die das Herz des Museumspädagogen höher schlagen lässt: Er erlauschte (oder erfand) Besuchergespräche im Ausstellungssalon (die Kleist, zum Ärger von Brentano, nicht abdruckte). Hier ein Ausschnitt:

Eine Dame ein Herr, welcher vielleicht sehr geistreich war, treten auf. Die Dame sah in ihr Verzeichnis und sprach: „Nummer zwei, Landschaft in Öl. Wie gefällt es ihnen?“ Herr: „Unendlich tief und erhaben“. Dame: „Sie meinen die See, ja die muss erstaulich tief sein und der Kapuzinermönch ist auch sehr erhaben.“ Herr: „Nein Frau Kriegsrat, ich meine die Empfindung des einzigen Friedrich bei diesem Bild.“ Dame: „Ist es schon so alt, dass er es auch gesehen?“ Herr: Ach, Sie missverstehen mich, ich rede von dem Maler Friedrich“ (nicht von Friedrich dem Großen, verst. 1786). Also Mut auch hier im Winterhuder Kunstsalon zu Gesprächen, die vielleicht an Tiefsinn den Berliner Akademie-Salon übertreffen!

Auch umgekehrt dürfen wir nicht vermuten, dass Corinna Altenhof den wunderbaren Text von Brentano kannte, mit der Vision einer Landschaft, die sich selbst malt und dabei die Gefühlslage des Malers und die eigene Geschichte widerspiegelt. Denn schon ihr Arbeitsprozess ist ein vollständig anderer, als Friedrichs Umgang mit der Leinwand. Immerhin: Es gibt Brücke von Friedrich Meerlandschaft zu Corinna, z. B. im Übermalen. Denn dies geschah bei Friedrich in der Gestaltung des Meeres: Links und rechts vom Mönch in der Mitte kamen durch Röntgen-Untersuchungen zwei Schiffe zum Vorschein. Wohl viel zu anekdotisch konkret müssen sie dem Maler erschienen sein, so dass er sie der fast abstrakten Komposition opferte – damals, vor über 200 Jahren. Bei Altenhof dagegen lässt der schichtenweise überlagernde Farbauftrag die Untermalungen nicht vollständig verschwinden. Arbeitsspuren sind für Corinna Altenburg wie Lebensspuren, die sich in die Bildfläche eingraben, wie die Falten in unseren Gesichtern und Händen. Und so lässt das mit dem Bunsenbrenner erwärmte Farbgemisch aus Wachs und Pigmenten nach dem Auftrag auf die vorangegangenen, Zustände des langwierigen Arbeitsprozesses durchschimmern - da können sich künftige Bildarchäologen das Infrarot sparen.

Wer neugierig ist, sollte unbedingt selbst mit heißem Wachs und Pigmenten experimentieren und spielerisch herausfinden, wie sich der Sprache des Materials, mit Spachtel, Kratzgeräten und was einem sonst noch in die Finger kommt experimentieren lässt, auf Leinwand, aber durchaus auch auf festem Karton. Eine Besonderheit sind die reinen weißen Flächen auf Corinnas Bildern, die so geblieben sind, weil die Künstlerin den Mut zum Leeren, zum Weglassen besitzt. Fast wäre ich beim Fotografieren eines Bildes reingefallen, weil ich dachte, die riesige Weißfläche gehöre zu einem übergroßen Passepartout. Doch es gibt nur den einen Karton, und am Rand der Weißfläche entdeckt man die plastischen, farblosen Wachskonturen. Und dann bemerkt man auch das Lichtspiel auf dem Weiß, das fast die Hälfte des Bildes einnimmt.

Eine weitere Brücke zu Friedrich bilden die Horizontlinien, die Himmel, Wasser und Erde trennen. Eigentlich gibt es für Corinna Altenhof keine Linien. Sie entstehen durch den Stufenweisen Arbeitsprozess, das flächenweise Auftragen und Verdichten der Farbpigmente, gebunden mit farblosem Wachs. Die Spuren der horizontalen Bewegungen von Arm und Händen schafft in uns landschaftliche Vorstellungen (in uns genauso wie bei der Künstlerin) Visionen von Meer, Wüste und Himmel, Leere, die Füchse und Wölfen zum Heulen bringen mag.

Vieles lässt sich in diesem Bildern finden, nur Mut zum Phantasieren! Treffend formuliert es Jens Martin Neumann im Katalog In der Tiefe (zur Ausstellung in der Landdrostei Pinneberg, 2014) Malen bedeutet für Corinna Altenhof das Einsammeln von künstlerischen Erfahrungsschichten, die sich als Ablagerungen eines biografischen und prosaischen Erinnerns in die Farbhaut einschmelzen. Neumann spricht vom Einbruch des Morbiden in den schönen Schein.

Doch bevor wir nun unsere Salongespräche miteinander bei Wein und Knabberei beginnen, möchte ich noch ein paar einzigartige Passagen aus einem meiner Lieblingsbücher vorlesen, dem noch vor dem 1. Weltkrieg begonnenen Der Zauberberg von Thomas Mann

Es ist das vierzig Seiten lange Kapitel „Schnee“, an das ich bei zwei Bildern dieser Ausstellung denken musste. Hans Castorp erlebt in seinem Schweizer Lungensanatorium mit anfänglicher Begeisterung den „übermäßigen Wintercharakter des diesjährigen Jahres“, während andere Besucher des Schweizer Sanatoriums empört an Abreise denken. Er erlernt das Skifahren (auch wenn er „keine Ansprüche auf Virtuosentum erhob“), und er unternimmt allein einen lebensbedrohlichen Ausflug, der in Erschöpfung und einem Traum (nach einem Schluck Portwein unterwegs) im eisigen Schneesturm mündet. Hier Beispiele aus den poetischen Landschaftsvisionen:

Beim Erwachen war das Gebirge völlig im Schneenebel verschwunden, und nur Stücke davon, eine Gipfelkuppe, eine Felsnase, traten wechselnd für einige Minuten hervor, um wieder verhüllt zu werden. Dies leise Geisterspiel war äußerst unterhaltend. Man musste scharf achtgeben, um die Schleier-Phantasmagorie in ihren heimlichen Wandlungen zu belauschen. Wild und groß zeigte sich, frei vom Dunste, eine Felsgebirgspartie, von der weder Fuß noch Gipfel zu sehen war. …

Jedoch liebte Hans Castorp das Leben im Schnee. Er fand es demjenigen am Meeresstrand in mehrfacher Hinsicht verwandt: die Monotonie des Naturbildes war beiden Sphären gemeinsam; der Schnee, dieser tiefe, lockere Pulverschnee spielte hier die Rolle wie drunten der gelbweiße Sand. Gleich reinlich war die Berührung mit beiden, man schüttelte das frosttrockene Weiß von Schuhen und Kleider wie drunten das staubfreie Stein- und Muschelpulver des Meeresgrundes …

Vielleicht wecken die Bilder von Corinna Altenhof in uns ähnliche Phantasien und Sehnsüchte nach einem endlich mal wieder weißkalten Winter, der im eisigen Frost die schönsten Naturbilder erstarren lässt, wie das Wachs auf Corinnas Bildern, das durch die Lasuren der letzten Schichten auch noch die Erinnerung an die darunterliegenden Schichten (zum Beispiel einen strahlenden Sommertag) durchschimmern lässt. Auf der Homepage von Corinna Altenhof lesen wir in einem Essay von Marion Passarge:

Jedes der erschaffenen Bilder lädt auf ganz eigene Art und Weise dazu ein, die dargestellte Seelenlandschaft zu durchmessen, der ihr innewohnenden Stimmung nachzuspüren, sich an ihrer zurückhaltenden, ebenmäßigen Schönheit, ihrer faszinierenden Farbwirkung satt zu sehen und schließlich vermittels der eigenen Bewusstseinsaustattung ihre Lesbarkeit zu erproben.





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